Verbindungsschichtdesign

FVA 386 III | IGF-Nr. 20067-N

Verbindungsschichtdesign für tragfähigkeitsoptimierte Zahnflanken

Das Nitrieren ist neben dem Einsatzhärten ein bewährtes Verfahren, um die Gebrauchseigenschaften von Zahnrädern zu verbessern. Die Nitrierschicht besteht in der Regel aus einer Verbindungs- und einer Diffusionsschicht, deren Aufbau gezielt durch die  Wärmebehandlungsparameter beeinflusst werden kann. Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens AiF 17730/FVA 482 IV zeigen, dass durch einen günstigen Verbindungsschichtaufbau die tribologische Tragfähigkeit hinsichtlich Verschleiß und Graufleckigkeit signifikant verbessert werden kann. Der beste Kompromiss für diese in AiF 17730/FVA 482 IV untersuchten Schadensarten ist eine Verbindungsschicht mit einem ε-Nitrid-Anteil von mindestens 50 %. Damit ergeben sich jedoch unterschiedliche Anforderungen zur tribologischen Tragfähigkeit von Nitrierschichten nach AiF 17730/FVA 482 IV und zur Grübchentragfähigkeit nach ISO 6336-5:2016, in welcher für die höchste Werkstoffqualität ME bei Nitrierschichten ein γ‘/ε-Nitridverhältnis > 8 gefordert wird.

Ziel des vorliegenden Forschungsvorhabens war die Erforschung der Beziehung zwischen Verbindungsschicht und Tragfähigkeit nitrierter Zahnräder auf Basis experimenteller Ergebnisse, sowie die Erarbeitung von Empfehlungen zum Nitrieren von Verzahnungen für die praktische Anwendung. Dazu wurden zunächst mit Hilfe des geregelten Nitrierens und Nitrocarburierens im Gas und Plasma gezielt Verbindungsschichten mit unterschiedlichen Nitrid-Phasenzusammensetzungen, Verbindungsschichtdicken und Porositäten hergestellt und metallografisch charakterisiert. Anschließend wurden ausgewählte Verbindungsschichten auf Prüfverzahnungen übertragen und experimentelle Untersuchungen zur Grübchentragfähigkeit sowie ergänzend zur Verschleiß- und Graufleckentragfähigkeit durchgeführt.

Über die Standardanalyse (Querschliff mit Nital-Ätzung und Härteverlauf) hinaus wurde die Phasenzusammensetzung der Verbindungsschichten durch Sonderätzungen, Röntgenografie und GDOES ermittelt. Unterschiedliche Stickstoffkonzentrationen in der Verbindungsschicht und somit die Unterscheidung zwischen γ‘- und ε-Nitrid, können durch eine Ätzung nach Beckert/Klemm sichtbar gemacht werden. Eine Ätzung nach Murakami macht unterschiedliche Kohlenstoffkonzentrationen sichtbar und hebt somit speziell ε-Carbonitrid-Phasen hervor. Durch die Kombination einer Murakami Ätzung mit anschließender Bildanalyse ist es möglich, die Anteile der Nitridphasen in der Verbindungsschicht quantitativ zu bestimmen.

Die Ergebnisse der Laufversuche am FZG-Kleingetriebeprüfstand mit Achsabstand a = 52 mm belegen unabhängig vom Werkstoff einen signifikanten Einfluss der Eigenschaften der Verbindungsschicht, insbesondere des Porensaums, auf die Grübchentragfähigkeit. Ein ausreichend ausgeprägter Porensaum beeinflusst die Grauflecken- und Grübchen-tragfähigkeit positiv, was den dominanten Einfluss des Porensaums auf die Grauflecken-tragfähigkeit nach AiF 17730/FVA 482 IV bestätigt. Ein Einfluss der Phasenzusammen-setzung der Verbindungsschicht auf die Grübchentragfähigkeit wurde nicht nachgewiesen. Solange an der Oberfläche der Zahnflanke eine geschlossene, tragfähige Verbindungsschicht vorliegt und Graufleckigkeit durch einen ausreichend ausgeprägten Porensaum vermieden werden kann, ist eine hohe Grübchentragfähigkeit zu erwarten. Ist die Verbindungsschicht dagegen beschädigt (z. B. durch Graufleckigkeit) bzw. nicht tragfähig, ist von einer Minderung der Grübchentragfähigkeit auszugehen. Zudem belegen die Ergebnisse, dass eine Übertragung einer hochtragfähigen Nitrierschicht (Standard-Nitrierstahl 31CrMoV9) auf alternative, kostengünstige Werkstoffe (z. B. 42CrMo4) möglich ist und vergleichbare, hohe Grübchentragfähigkeiten erreicht werden können. Die ermittelten Grübchen-Dauerfestigkeitswerte ordnen sich oberhalb bzw. zum Teil deutlich oberhalb der in ISO 6336-5:2016 ausgewiesenen Festigkeitskennwerte für nitrierte Nitrierstähle bzw. einsatzgehärtete, legierte Stähle ein und zeigen das Potential einer erhöhten Grübchen-Dauerfestigkeit, sofern Graufleckigkeit durch einen ausreichend ausgeprägten Porensaum sicher vermieden werden kann.
Die Untersuchungen zur tribologischen Tragfähigkeit (a = 91,5 mm) bestätigen die Ergebnisse aus AiF 17730/FVA 482 IV, dass die tribologische Tragfähigkeit nitrierter Zahnräder maßgebend von den Eigenschaften der Verbindungsschicht abhängig ist. Die experimentellen Untersuchungen zum Graufleckenverhalten belegen, dass der Porensaum eine maßgebende Einflussgröße darstellt. Solange ein ausreichend dicker und tragfähiger Porensaum an der Zahnflanke vorliegt, kann Graufleckigkeit (weitestgehend) vermieden werden. Unter dieser Voraussetzung scheint der Einfluss der Phasenzusammensetzung der Verbindungsschicht auf die Graufleckentragfähigkeit von untergeordneter Bedeutung zu sein, solange ein Phasenanteil von mindestens 10 % ε-Nitrid in der Verbindungsschicht vorliegt. Hinsichtlich der Verschleißtragfähigkeit weisen Verbindungsschichten mit einem hohen Anteil an hartem ε-Nitrid von mindestens 50 % ein günstiges Verschleißverhalten auf. Negative Einflüsse hoher Verbindungsschicht- und Porensaumdicken von bis zu CLT ≤ 30 μm bzw. CLTP ≤ 9 μm auf das Verschleißverhalten wurden nicht festgestellt, was ebenfalls die Ergebnisse aus AiF 17730/FVA 482 IV bestätigt.

Auf Basis der experimentellen Untersuchungen zur Grübchen- und tribologischen Tragfähigkeit sowie unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Vorhabensreihen FVA 386, FVA 482 und FVA 615 wurden Empfehlungen für die praktische Anwendung zum Verbindungsschichtdesign für tragfähigkeitsoptimierte nitrierte Zahnflanken abgeleitet. Für eine optimale Zahnflankentragfähigkeit (Grauflecken-, Verschleiß- und Grübchentragfähigkeit) sind Verbindungsschichtdicken zwischen 5 μm ≤ CLT ≤ 25 μm, eine Mindest-Porensaumdicke von CLTP > 2 μm, sowie eine Phasenzusammensetzung von mindesten 50 % ε-Nitrid in der Verbindungsschicht anzustreben.

Die Ergebnisse der theoretischen Untersuchungen bestätigen grundsätzlich, dass eine Abschätzung der Grauflecken- und Verschleißtragfähigkeit nach ISO/TS 6336-22:2018 bzw. FVA 10 nitrierter Zahnräder in der Paarung nitriert/nitriert möglich ist, jedoch zum Teil große Sicherheitsreserven beinhaltet.

Die Untersuchungen erweitern den Wissensstand zur Grübchen-, Grauflecken- und Verschleißtragfähigkeit nitrierter Zahnräder und ermöglichen dem Anwender eine beanspruchungsgerechte Einstellung der Verbindungsschicht. Auf Basis der Ergebnisse wurden die Anforderungen der Norm ISO 6336-5:2016 zu den Werkstoffeigenschaften nitrierter Zahnräder überprüft und Vorschläge für deren Erweiterung abgeleitet. Die bestehenden Berechnungsverfahren zur Flankentragfähigkeit wurden auf ihre Anwendbarkeit auf nitrierte Verzahnungen überprüft.

Das IGF-Vorhaben IGF-Nr. 20067-N der Forschungsvereinigung Antriebstechnik e.V. (FVA) wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

AiF Mitgliedgefördert vom BMWiK aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages
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